*ursprüngliche Veröffentlichung in der PW 08/11*

Matches, die die Welt bewegten: Der Iron-Man
WWE Championship: Bret Hart © vs. Shawn Michaels
WWE Wrestlemania XII (31.03.96)
Arrowhead in Anaheim, Californien, USA
18.853 Zuschauer

DER HINTERGRUND

Die Geschichte einstündiger Wrestlingkämpfe ist lang und gilt als
Bewährungsprobe für jeden Wrestler. Wer in sechzigminütigen
Marathonkämpfen die Zuschauer glaubhaft unterhalten kann, wird zumeist von Langzeitfans ohne Unterlass gefeiert. Diejenigen, die diese Bewährungsprobe nicht bestehen, werden indes von den Historikern dieser Unterhaltungsform vergessen. Vor dem Urknall des Sports-Entertainment in Form von WrestleMania waren sogenannte Iron-Man-Kämpfe mit einer Kampfzeit von einer Stunde und manchmal sogar noch länger, keine Seltenheit und tauchten vor allem in der Geschichte der National Wrestling Alliance immer wieder auf. Dort war es die Aufgabe der damaligen World Champions, in langen Kämpfen ihre Gegner aus den verschiedenen Territorien gut aussehen zu lassen, ohne jedoch den eigenen Titel abzugeben oder selbst einen Imageverlust einzustecken.

Der einleuchtende Weg, das zu bewerkstelligen, waren lange Matches, die oft nach einer Stunde in einem Unentschieden endeten. Konditionell besonders starke Wrestler wie Dory Funk jr. und Jack Brisco gelten bis heute als populäre Vertreter dieser große Ausdauer fordernden Kämpfe. Besonders hervorzuheben ist in dieser Kategorie auch Ric Flair, der als „Iron Man“ schlechthin in dieser Disziplin gilt. Kaum ein anderer Wrestler hat eine derart lange Geschichte in dieser Kampfgattung: Kein anderer sorgte im Verlauf seiner Karriere für so viele einstündige Klassiker wie der Nature Boy, der als einer der fittesten und konditionell stärksten Wrestler aller Zeiten gilt.

Ric Flair (r) hatte vermutlich mehr einstündige Matches, als jeder andere. Einer seiner Gegner war dabei Barry Windham (l). (c) WWE

Zu Beginn der Neunziger waren die Marathonkämpfe allerdings aus dem Mainstream-Wrestling verschwunden. Der Wandel vom legitimen Sport zur sportlichen Unterhaltung hatte dafür gesorgt, dass Wrestling schnelllebiger geworden war. An die Stelle von langsam geführten sportlichen Scheinwettkämpfen waren nun visuell aufpolierte, theatralische Konfrontationen getreten, die mehr Wert auf Unterhaltung anstatt auf Realismus legten. Die ausdauernden Athleten der Vergangenheit wie Nick Bockwinkel, Bruno Sammartino und Jack Brisco waren von der Bildfläche verschwunden. An ihre Stelle waren gewaltige, muskelbepackte Bodybuilder wie Hulk Hogan, der Ultimate Warrior, Sid Vicious, Kevin Nash oder Lex Luger getreten. Die Herren waren gar nicht in der Lage, einstündige Marathons im Ring zu bestreiten – noch wurde so etwas von den modernen Fans, die auf vordergründige Showelemente und ein visuelles Spektakel aus waren, erwartet.

Als die WWE 1996 für ihren Jahreshöhepunkt WrestleMania XII ein Iron Man Match zwischen Bret Hart und Shawn Michaels ankündigte, zweifelten Skeptiker schnell an diesem altmodischen Kampfmodell und betitelten es im Vorfeld schon als anachronistisch und überholt. Angetrieben vom kreativen Kopf Pat Patterson hatte McMahon den Plan gefasst, mit Wrestlemania XII eine neue Ära seiner Promotion einzuleiten.

Pat Patterson (c) WWE

Während ihm die von Eric Bischoff geleitete WCW buchstäblich im Nacken saß, hatte McMahon erkannt, dass er sich vom Konkurrenzprodukt bestmöglich abgrenzen musste. Dies versuchte der WWE-Eigentümer damit zu erreichen, dass er die größte Bühne des
Wrestlings seinen beiden stärksten In-Ring Performern für eine Stunde überließ. Der amtierende Champion Bret Hart und dessen ebenfalls in der Rolle des Publikumslieblings agierende Herausforderer Shawn Michaels sollten der Wrestlingwelt beweisen, dass die WWE das überlegene Wrestlingprodukt bot. Eine Taktik, die bereits Jim Crockett Ende der Achtziger gegen McMahon eingesetzt hatte; als Crockett die Main Events von Hulk Hogan auszukontern versucht hatte, indem er Top-Wrestler wie Ric Flair und Ricky Steamboat der Starpower von Hulkamania entgegenstellte. Diese Ideen brachten Crockett finanziell jedoch keinen Erfolg. Und auch für Vince McMahon sollten sich diese Pläne nicht unbedingt rechnen.

Aber nicht nur mit diesem Wrestlingfeuerwerk wollte sich McMahon die Gunst der Zuschauer sichern. Wie bereits sechs Jahre zuvor bei Wrestlemania VI kam es erstmals seit 1990 wieder zu einer Fackelweitergabe von Publikumsliebling zu Publikumsliebling. Ging man innerhalb der WWE normalerweise den Weg, die erste Titelregentschaft eines die Massen begeisternden Publikumslieblings mit einem Sieg über einen Antagonisten einzuleiten (Hogan besiegte 1984 den Sheik, Bret Hart besiegte 1992 Ric Flair, Kevin Nash besiegte 1994 Bob Backlund), probierte man nun erneut eine direkte Weitergabe des World Titels von einem Publikumsliebling zum nächsten. Wie der Ultimate Warrior 1990, so sollte auch Shawn Michaels sechs Jahre später den amtierenden Champion deutlich in der Ringmitte besiegen und im Anschluss als Aushängeschild der Liga agieren. Und wie auch 1990 hatte der entthronte Champion Probleme, sich mit der Rolle als Nummer zwei der Promotion zu arrangieren.

Bret Hart, dem der Titel Ende 1995 nur verliehen wurde, um Shawn Michaels bei WrestleMania XII zum großen Champion aufzubauen, reagierte verärgert über seine Degradierung. Aufgrund der Backstageeinflusses, den Kevin Nash, Scott Hall und Shawn Michaels das gesamte Jahr 1995 über gehabt hatten, verbrachte der ehemalige World Champion den Großteil des Jahres mit unwichtigen Fehden gegen Bob Backlund und Jerry Lawler, während die Clique-Mitglieder um Kevin Nash die großen Main Events von WWE bestritten. Als er dann schließlich den Schwergewichtstitel mit einem glücklichen Pinfallsieg über Nash erhielt und anschließend als schwacher Champion dargestellt wurde, der sowohl beim Royal Rumble als auch beim In Your House PPV vor Wrestlemania nur durch Eingriffe von außen den Titel halten konnte, war Hart an einem Scheideweg angekommen. Er wusste, dass die WWE absolut entschlossen war, den jüngeren Shawn Michaels in seiner Rolle als Weltschwergewichtschampion zu vermarkten und er dabei auf der Strecke blieb. Hart zog die Notbremse. Er kündigte seinem Boss an, bei WrestleMania XII den Titel ohne Umschweife an Shawn Michaels weiterreichen zu wollen, anschließend aber eine längere Pause einlegen würde, um andere berufliche Perspektiven auszukundschaften.

Bret Hart gewann den WWE-Titel von Diesel/Kevin Nash (mitte) – (c) WWE

Harts Nachricht sorgte besonders bei Michaels für schlechte Stimmung. HBK war wenig erfreut zu erfahren, nach WrestleMania XII die Bürde auferlegt zu bekommen, als wichtigster Mann im Kader die WWE in erster Linie auf seinen Schultern tragen zu müssen. Acht Jahre hatte der Texaner auf seinen großen Augenblick hingearbeitet. Und nicht wenige Beobachter hielten den damals 29-jährigen für den besten In-Ring-Performer in der kompletten US-Szene. Mit großer Leidenschaft und einem eisernen Willen hatte Michaels seit Jahren
Spitzenleistungen im Ring vollbracht. Und mit seinen Leiterkämpfen gegen Scott Hall sowie dem WWE-Titelmatch bei der WrestleMania im Vorjahr gegen Kevin Nash genügend Referenzen abgeliefert, um endlich auch selbst mit der WWE Championship ausgestattet zu werden.

Doch obwohl Michaels sowohl im Ring als auch am Mikrofon ein Garant für herausragende Leistungen war, wiesen viele WWE-Angestellte darauf hin, dass der Texaner mehrmals mit unprofessionellem Verhalten hinter den Kameras negativ aufgefallen war. So hatte Michaels sich beispielsweise 1993 nach einer Suspendierung geweigert, den Intercontinental Title an McMahon zurückzuschicken und war häufig nach Wutausbrüchen zum Thema geworden. Schließlich überzeugten McMahon jedoch Michaels‘ Fähigkeiten, sein Charisma und die Leidenschaft für das Wrestling, ihn in diese wichtige Position innerhalb der Firma zu hieven.

Hart und Michaels bereiteten sich intensiv auf die große Herausforderung eines einstündigen Matches vor, erhöhten ihre Cardiotrainingseinheiten und planten den Kampf lange Zeit im Voraus. Michaels sollte die erste halbe Stunde planen, während der Hitman sich mit der abschließenden Hälfte des Matches beschäftigte. Als Endsequenz einigten sich beide auf eine Hommage an den großen Kampf zwischen Ric Flair und Sting vom ersten Clash of the Champions, der damit endete, dass Sting Flair in seinen Scorpion
Deathlock nahm und die Zeit verstrich, während Flair sich weigerte aufzugeben. Flairs Rolle sollte in diesem Szenario vom Herausforderer Michaels eingenommen werden.

Die Ankündigungs-Grafik zum WrestleMania-Showdown. (c) WWE

DAS MATCH

Nach einem spektakulären Einzug des Herausforderers von der Hallendecke begann das Match der beiden Kontrahenten mit Mattenwrestling. Die ersten fünfundzwanzig Minuten waren von grundsolidem Wrestling bestimmt und zeigten, dass der für spektakuläre Highflying-Aktionen bekannte Michaels sich auch auf dem Mattenboden zurechtfand und mit dem taktisch versierten Hart mithalten konnte. Highlights dieser Anfangsphase waren unter anderem eine Hurracanrana des Herausforderers, die den Hitman aus dem Ring schleuderte sowie ein Superkick, der – anstatt den Champion zu treffen – den unbeteiligten Ringsprecher vom Sitzplatz fegte.

Als eine halbe Stunde um war, nahm das Match, das stetig an Fahrt
aufgenommen hatte, eine Wendung: weg vom Wrestling auf der Matte hin zu dynamischeren Sequenzen. Michaels übernahm die Kontrolle, als er den Champion mit der Schulter voran gegen den Ringpfosten schlug und anschließend mit einem Shoulderbreaker weiter nachsetzte. Es folgte ein Double Axe Handle und anschließend ein Hammerlock-Slam, um weiter die angeschlagene linke Schulter des Champions zu schwächen. Hart konnte sich kurzzeitig freikämpfen, musste dann aber weitere Tritte und Schläge gegen die Schulter über sich ergehen lassen. Das systematische und ringpsychologisch
clevere Agieren des Herausforderers flößte dem traditionellen Kanadier zunehmend Respekt ein. Michaels dominierte weiter das Ringgeschehen bis der Hitman mit einem Katapult in das Match zurückfand und mit einem Reverse Atomic Drop und einem Running Clotheline in die Offensive ging. Der eingelaufene Bulldog folgte, doch Michaels hielt mit einem Powerslam dagegen. Die erste halbe Stunde war nun abgelaufen, und die Fans in Anaheim hatten einen größtenteils ausgeglichenen Kampf mit leichten Vorteilen für den
Herausforderer gesehen.

Michaels versucht, Hart mit einem Armbar zur Aufgabe zu zwingen. (c) WWE

Mit einem Piledriver schien der Champion aber nun seine Rückkehr ins Geschehen zu feiern. Ein Legdrop folgte und Hart stieg aufs Seil, wo er von Michaels allerdings in Ric-Flair-Manier herunter geholt und in den Ring geschleudert wurde. Michaels zeigte anschließend einen Backbreaker und setzte zum Superkick an, dem der Champion jedoch in letzter Sekunde mit der Flucht aus dem Ring entgehen konnte. Doch der Herausforderer setzte nach und sprang vom obersten Seil mit einem Crossbody auf den außerhalb des Ringes befindlichen Champion. Hierbei war Michaels offensichtlich zu weit gesprungen und wäre unangenehm in der Ringabsperrung gelandet, wenn Hart ihn nicht vor dem Zusammenstoß abgefangen hätte. Im Ring wiederholte Michaels die Aktion, doch Hart fing den Heartbreak Kid auf und rollte ihn zu einem 2-Count ein.

Das Match war wieder ausgeglichen, und beide kämpften um die Kontrolle, die sich schließlich Michaels mit einem Perfect-Plex sichern konnte und mit einem Sleeperhold weiter nachsetzte. Gerade als Michaels alles unter Kontrolle zu haben schien, gelang es dem Hitman seinen Kontrahenten mit einem Backbodydrop über die Ringecke nach draußen zu werfen.

Der Champion sah nun seine Gelegenheit und setzte nach. Ein Backbreaker gegen den Ringpfosten sowie Schläge und ein Headbutt in den unteren Rücken schwächten diese Körperpartie von Michaels noch stärker. Es folgte ein Ellbogen in den unteren Rücken, und die Kommentatoren sprachen aus, was die meisten Fans dachten: Michaels hatte die ersten vierzig Minuten des Kampfes bestimmt und war nun nach einer Unachtsamkeit ohne Energiereserven der Offensive des Champions ausgesetzt, der Blut geleckt hatte und nun alles zu geben schien.

Ein weiterer Backbreaker, ein Legdrop sowie Tritte und Schläge in den unteren Rücken untermauerten die Offensive des Kanadiers, der nun breitbeinig vom zweiten Seil auf den Rücken seines Kontrahenten sprang. Ein Suplex vom obersten Seil konnte allerdings auch nicht den gewünschten Pinfall sichern. Hart setzte anschließend den Camel Clutch an, aus dem Michaels sich freikämpfen konnte. Er wollte einen Sunsetflip zeigen, doch die Schmerzen in seinem unteren Rücken machten dieser Strohfeueroffensive einen Strich durch die Rechnung. Der Champion dominierte weiter, was Lawler dazu bewegte, die offensichtliche Frage zu stellen, ob Michaels Traum vom WWE-Titel nicht zu einem Alptraum geworden wäre.

Der Camel Clutch brachte Bret Hart nicht den gewünschten Erfolg gegen HBK. (c) WWE

Der Texaner versuchte nochmals sich zu verteidigen, musste dann jedoch die Russian Legsweep einstecken. Der berechnende Champion schleuderte Michaels aus dem Ring, wo dieser mit seinem alternden Trainer kollidierte. Hart ließ sich nicht beirren und folgte seinem Gegner nach außerhalb, wo er Michaels erneut gegen seinen Trainer schleuderte, was ihm deutliche Negativreaktionen des Publikums einbrachte, die zunehmend Partei für den Herausforderer ergriffen. Doch HBK musste weiter einstecken und einen Belly to Belly Suplex hinnehmen. Michaels zeigte nun deutliche Gegenwehrbemühungen und konnte den Champion sogar überraschend einrollen, doch dieser warf den Heartbreak Kid erneut aus dem Ring und folgt ihm mit einem Torpedo zwischen dem zweiten und dritten Seil nach. Als Michaels ein Auskontern gerade hatte abwenden können, musste er im Ring den German Suplex hinnehmen und wäre fast bis drei geschultert worden.

Fünfzig Minuten waren verstrichen, als der Champion erneut den Camel Clutch ansetzte. Es wirkte für die Zuschauer in der Tat so, als hätte sich Michaels in den ersten vierzig Minuten verausgabt, denn der amtierende Champion hatte seinen Herausforderer nun seit zehn Minuten nach Belieben beherrscht. Nach Minuten im gefährlichen Aufgabegriff, gelang dem Herausforderer unter dem Jubel der Zuschauer ein Comeback, und er konnte sich aus der brenzlichen Lage befreien. Er federte in die Seile und es folgte ein Double Clotheline, der beide Männer auf den Boden beförderte. Trotz starker Gegenwehr konnte Hart seine Dominanz dennoch aufrechterhalten und zeigte den Superplex vom dritten Ringseil. Michaels wehrte den Ansatz zum Sharpshooter mit letzter Kraft ab, fand sich dafür allerdings im Half Boston Crap wieder, aus dem er sich mit einem Griff in die Seile befreien konnte.

Mit nur noch fünf verbliebenen Minuten feuerte das Publikum Michaels zunehmend an und erhoffte sich ein Comeback des leichtgewichtigeren Kontrahenten, der allerdings noch einen weiteren Backbreaker einstecken musste. Hart wollte mit seinem Ellbogen vom zweiten Seil nachsetzen, doch Michaels zog in letzter Sekunde die Beine an und überraschte den Champion. Mit einem Dropkick schien Michaels nun nach fünfzehn defensiven Minuten wieder zurückzufinden. Er schleuderte Hart Brust voran in die Ringecke und ließ den Running Elbow folgen, nach dem er sich zur Freude des Publikums mit einem Sprung aufsetzte und einen weiteren Reverse Elbow zeigte. Mit einem Bodyslam und einem Reverse Double Axe Handle warf der Texaner nun alles nach vorne, um seinen Kindheitstraum wahrwerden zu lassen.

Ein Back Suplex und der Flying Elbow waren allerdings noch immer nicht genug, um den ersten Pinfall in diesem Iron Man Match zu erreichen. Eine Gutwrench-Powerbomb folgte, und der Moonsault vom obersten Seil trieb den Champion an den Rande der Niederlage. Michaels zeigte eine Hurracanrana vom obersten Seil, doch auch diese reichte nicht aus. Erneuter Bodyslam vom Herausforderer und das Publikum tobte, als Michaels bei einer verbleibenden Zeit von fünfzig
Minuten die Ringecke heraufkletterte, um mit einem Dropkick auf den
Champion niederzuspringen. Doch dieser konterte und fing den
heranfliegenden HBK ab, um ihn in den Sharpshooter zu nehmen.
Vierunddreißig Sekunden verblieben noch im Kampf, und die Halle zählte den Countdown herunter, als Michaels sich weigerte, den Schmerzen nachzugeben und abzuklopfen.

Ringrichter Earl Hebner überreichte dem Hitman seinen Gürtel, und Hart machte sich sofort auf den Weg zurück in die Umkleidekabine, als verkündet wurde, dass es eine Verlängerung unter „Sudden Death“-Regeln geben werde. Wenig begeistert machte sich Hart auf den Weg zurück zum Ring und wartete auf den Ringgong, um das Match fortzusetzen. Aggressiv setzte der Kanadier nach und ging auf den angeschlagenen unteren Rücken des Herausforderers los, er zeigte einige Schläge sowie einen Backbodydrop und einen Backbreaker,
als Michaels plötzlich den Champion mit einem Superkick überraschte. Beide Männer blieben auf dem Boden liegen. Hart versuchte sich aufzurappeln, während Michaels, unfähig zu covern, auf dem Boden lag. Als beide wieder auf den Beinen waren, empfing Michaels den Champion mit einer zweiten Sweet Chin Music und coverte dieses Mal augenblicklich. Nach 61:52 Minuten war der Kampf entschieden.

Die zweite Sweet Chin Music war zu viel für Hart. (c) WWE

Das Publikum tobte, als der Ringrichter das dritte Mal seine Hand auf den Boden prallen ließ und Sekunden darauf Michaels‘ Musik eingespielt wurde. Der Champion nahm den Titel allerdings erst entgegen, als sein Vorgänger den Ring verlassen hatte. Während Michaels im Ring mit seinen Fans den größten Sieg seiner bisherigen Karriere feierte, verließ Hart gefrustet die Halle.

DIE NACHWIRKUNGEN

Als Michaels nach dem Kampf Ringrichter Earl Hebner mitteilte, dass Hart gefälligst den Ring verlassen solle, da dies nun sein Augenblick sei, begann die womöglich größte private Feindschaft, die je zwischen zwei Wrestlern in diesem Geschäft bestand. Hart, der zähneknirschend seinen geliebten Schwergewichtstitel abgegeben hatte und nun seine Pause antreten wollte, fühlte sich auf beleidigende Weise von seinem Nachfolger herabgewürdigt und aus dem Scheinwerferlicht gestoßen.

In seiner Autobiografie erinnert sich der entthronte Champion und kommentiert die Situation folgendermaßen: “Ich hab die Fackel in die Hände dieses kleinen Monsters gelegt. (…) Mach weiter und sieh, ob du die Liga tragen kannst, Shawn!”

Der Hitman zog sich daraufhin aus dem WWE TV zurück und verfolgte aus der Distanz die Titelregentschaft Michaels, von der er innerlich gehofft haben musste, sie werde scheitern – und sehr zum Leidwesen Michaels war diese Voraussage zutreffend. Mit großen Vorschusslorbeeren und dem vollen Vertrauen der Liga im Rücken startete die Titelregentschaft des Heartbreak Kids furios mit einem unglaublich starken No Holds Barred Match gegen Kevin Nash beim darauffolgenden PPV, ehe der amtierende Champion von allen Seiten aus unter Beschuss geriet.

“Nach einem Monat fing alles an, auseinanderzufallen”, erinnert sich Michaels heute sehr ehrlich. Der erste Schlag, den HBK zu verdauen hatte, war die Abwanderung seiner engen Freunde und Clique-Mitgliedern. Von der Fünf-Mann-starken Gruppierung, die noch im Vorjahr die Strippen hinter den Kulissen von WWE gezogen hatte, wanderten drei Mitglieder innerhalb weniger Wochen zur WCW ab und ließen Michaels und Triple H zurück in einem Locker-Room, der nun Rache für die Politik der vergangenen Monate nehmen wollte.

Vier Fünftel von „Clique“: 1-2-3 Kid/X-Pac, Shawn Michaels, Diesel/Kevin Nash und Razor Ramon/Scott Hall (v.l.n.r.) – (c) WWE

Nach einem Zwischenfall im Madison Square Garden, der als “Curtain Call” in die Wrestlinggeschichte einging, wurde Triple H temporär zu einem Jobber degradiert und Shawn Michaels, der sich in Cliquezeiten absichtlich von seinen Kollegen isoliert hatte, von den anderen Wrestlern gemieden. “Kevin und Scott waren gegangen, die Jungs haben mich vorher schon gehasst, und nun taten es auch noch die (Road) Agents. Was konnte noch schief laufen?”, stellt der Champion rückblickend nüchtern fest.

Zu Michaels Leidwesen konnte noch eine Menge schief laufen. So spürte der Texaner nicht nur den physischen Druck des wichtigsten Titels der Liga, sondern auch den mentalen. Als Champion setzte sich Michaels der eigenen Erwartungshaltung aus, jeden Abend das beste Match im Programm der Show zu liefern. Und im Gegensatz zu vielen vorherigen Champions, konnte Michaels seine Erwartungshaltung erfüllen. Jeden Abend wrestlete er zwanzig bis dreißig Minuten und brachte stets eine Höchstleistung, die bisher niemand vor ihm erreicht hatte. Die Folgen des Leistungsdrucks schlugen sich jedoch in vielen Verletzungen nieder, die aufgrund des Zeitmangels nicht auszukurieren waren und Michaels zwangen zu Schmerzmitteln und anderen Betäubungsmittel zu greifen. Der ohnehin schon isolierte Performer wurde dadurch noch aggressiver und unberechenbarer.

Zunehmend angestachelt von einem ihm feindlich gegenüberstehenden Arbeitsklima verbalisierte Michaels seine Meinung, der beste Wrestler im Roster zu sein, lautstark gegenüber jedem, der es hören oder nicht hören wollte. Arrogant lief der Champion im Backstagebereich herum und forderte seine Kollegen auf: “Überbietet mich”. Als er schließlich während eines PPV Main Events die Beherrschung verlor und wütend auf einen Gegner eintrat, nachdem dieser einen Spot vermasselt hatte, war das Maß voll und die
Verantwortlichen mussten einsehen, dass der stark gepushte Heartbreak Kid in seiner Rolle als World Champion dem mentalen Druck nicht standhielt.

Michaels konnte während seines Run als Champion nur bedingt überzeugen. (c) WWE

Als Michaels Ende 1996 seinen Titel verlor, befanden sich die Ratings auf einem Tiefststand, die PPVs verkauften sich so schlecht wie nie, und die WWE war erstmals seit über einer Dekade von der Pole Position im Wrestling verdrängt worden. Das abschließende Fazit, das Michaels Jahre später in seinem Buch “Heartbreak & Triumph” zieht, fällt sehr ehrlich und zutreffend aus: “Die Wahrheit ist, dass die Fans mich als Publikumsliebling nicht mochten. Sie mochten mich als Bösewicht. Es gibt nichts Härteres in diesem Geschäft als ein fader Publikumsliebling zu sein. (…) Die einzige Grund, warum die Fans so lange zu mir standen, wie sie es taten, war aufgrund meiner ringerischen Leistungen.”

Michaels Titelverlust fiel auf das selbe Datum wie die In-Ring-Rückkehr des von ihm entthronten Bret Hart. Aus Sicht des Hitmans war Michaels als Aushängeschild der Liga gescheitert, und er kehrte zurück unter der Annahme, von nun an wieder das Gesicht von WWE zu sein. Als dies nicht der Fall war, entbrannte zwischen den beiden ungleichen Konkurrenten eine Schlammschlacht vor und hinter den Kulissen, die schließlich im größten Wrestlingskandal aller Zeiten endete.

In den folgenden Jahren gab es vereinzelt weitere einstündige Marathonkämpfe im WWE Ring zu bestaunen, so lieferten sich beispielsweise Triple H und The Rock bei Judgment Day 2000 einen starken Iron-Man-Kampf, wusste dass 2003 im Free TV ausgestrahlte Aufeinandertreffen von Kurt Angle und Brock Lesnar zu überzeugen und zeigte Michaels 2007 gegen den dann amtierenden Champion John Cena ein weiteres hochklassiges Marathonmatch von fast einer Stunde.

Bei Wrestlemania XII hatten Hart und Michaels einen modernen Klassiker des Marathonkampfes gezeigt, der sich an die NWA-Titelkämpfe der Achtziger anlehnte, und schufen mit der Erfüllung von Shawn Michaels Kindheitstraum einen unvergesslichen Wrestlemania-Moment, der bis heute oft im WWE TV wiederholt wird.

*Verfasst von Alexander Nolte*

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