*ursprüngliche Veröffentlichung im PW-Magazin: 2009*
Im Herbst 2009 hatte Power-Wrestling die Möglichkeit, ein Exklusiv-Interview mit Rey Mysterio zu führen. Der „Master of the 619“ stand dabei im Vorfeld der „Undertaker Rest in Piece“ WWE-Live-Tour Rede und Antwort und gab dabei eine Menge spannende Aussagen von sich.

PW: Dieser Tage erschien in den USA die DVD „The Rise and Fall of WCW“, die es auch bald bei uns geben wird. Du warst 2001 einer der WCW-Superstars, als die Liga ihre Pforten schloss und von der WWE geschluckt wurde. Du selbst bist nun seit 2002 bei der WWE. Hättest du dir gedacht, dass sich die Dinge so entwickeln würden?
Rey Mysterio: Ich habe damals ehrlich nicht gedacht, dass man mich
verpflichten würde. Einige Wrestler waren zum Ende der WCW direkt in die WWE gewechselt: Booker T, Diamond Dallas Page, Buff Bagwell. Die WWE hatte ihre Verträge übernommen, meinen jedoch nicht. Man sagte mir jedoch, wir würden in die Verhandlung gehen, sobald mein bisheriger WCW-Vertrag ausgelaufen sei. Ich dachte so bei mir, dass sie das nur sagten, um mich ruhig zu stellen, man mich dann später aber sicher vergessen würde. Ich dachte ständig etwas anderes. Vielleicht würden sie mich ja doch verpflichten wollen, vielleicht aber auch nicht. So musste ich warten.

Hinterher wurde mir wohl klar, dass man einige Wrestler direkt übernommen hatte, weil deren Verträge nicht mehr so lange liefen. Meiner lief zum Ende der WCW noch über ein weiteres Jahr. Dank meines bestehenden WCW-Vertrags wurde ich also weiter richtig gut bezahlt. In der Zwischenzeit nahm ich auch einige Bookings in Mexiko und Puerto Rico an, wo ich dann in den Ring steigen konnte. Als die Zeit dann gekommen war, erhielt ich tatsächlich den Anruf: JR rief mich an, wir trafen uns daraufhin in Los Angeles. Wir setzten uns zusammen, sprachen über das Geschäft und kamen überein. Sie haben damals also ihr Wort gehalten. Die WWE hatte mir versprochen, dass man mich anrufen würde, und genauso kam es auch. Von da an lief alles rund. Ich war und bin der McMahon-Familie und natürlich auch JR sehr dankbar, dass der Deal damals gemacht wurde und ich in der WWE starten konnte, denn damit bekam ich genau das, was ich wollte, nämlich die Möglichkeit, mich zu beweisen.
PW: Machen wir einen Zeitsprung in die Gegenwart: Der Draft hat dich kürzlich wieder zu SmackDown gespült, nachdem du einige Zeit Teil von Monday Night Raw warst. Generell haben wir dich in den vergangenen Jahren ja eigentlich sowieso immer bei SmackDown gesehen. Momentan wirken beide Shows sehr unterschiedlich, mit einem deutlich stärkeren Schwerpunkt auf das eigentliche Wrestling bei SmackDown.
Rey Mysterio: Ich bin der Ansicht, dass Raw und SmackDown eigentlich schon immer sehr unterschiedlich gewesen sind. Zuerst einmal macht es den Eindruck, dass bei SmackDown wirklich die meisten jungen und aufstrebenden Talente sind. Hinzu kommen jene, die zwar auch noch jung, aber schon seit längerer Zeit dabei sind.
Dazu finde ich, dass SmackDown eine bessere Familiensendung ist, die gleichzeitig bei uns in den USA auch verstärkt das hispanische Publikum anzieht. Ich selbst spreche ja Englisch und Spanisch mit dem Publikum und meinen Fans, mit diesem „Spanglish“-Mix können wir also noch einen Schritt weitergehen. Davon abgesehen gibt es immer diese kleinen Ereignisse bei SmackDown, die es anders und aufregend im Vergleich zu Raw machen.

PW: Du hast das spanischsprachige Publikum angesprochen: Zuletzt hat es ja auch einen deutlichen Popularitätsschub für die WWE in Mexiko gegeben!
Rey Mysterio: Ja, die Einschaltquoten sind wirklich in den Himmel geschossen. In Mexiko Stadt verfolgen die Menschen eigentlich nur zwei Sportarten, nämlich Fußball und Wrestling. Jetzt kann das junge Publikum ihre liebsten Superstars der WWE nicht nur mehr bei Live Events sehen, sondern auch wöchentlich im Fernsehen. Wir hatten einige Shows in Mexiko gemacht, quasi um die Fans dort richtig anzuheizen. Nun ist uns auch im Fernsehen der Durchbruch gelungen.
Raw und SmackDown laufen auf guten Sendezeiten auf großen Kanälen, jedes Mal wenn wir jetzt nach Mexiko kommen sind die Veranstaltungen binnen kürzester Zeit ausverkauft. Das ist einfach eine unglaubliche Entwicklung.
PW: Das klassische mexikanische Wrestling, das Lucha Libre, ist ja tief mit der mexikanischen Kultur verwurzelt. Wie passt der Stil der WWE da nun hinein?
Rey Mysterio: Weil das mexikanische Wrestling einfach so ganz anders ist, bringt die WWE den mexikanischen Fans quasi eine ganz neue
Geschmacksrichtung. Ich sage immer, dass es für jede Form des Wrestlings Fans gibt. Es gibt in Mexiko sicher Fans, die nur ihren Stil mögen und sich die WWE gar nicht ansehen wollen. Andere werden es vermischen und neben dem mexikanischen Wrestling nun auch die WWE ansehen.
Dass es Leute wie Chavo Guerrero, mich oder auch Chris Jericho, der selbst einige Jahre in Mexiko gekämpft hat, gibt, hilft uns bei SmackDown sicherlich eine Menge. Wir kennen den Lucha Libre-Stil selbst ganz genau und können den Fans auch genau das bieten.

DENKWÜRDIGE AUSEINANDERSETZUNGEN MIT CHRIS JERICHO
PW: Über den Sommer hast du dir eine große Fehde mit Chris Jericho geliefert. Neben dem Aufeinandertreffen von Shawn Michaels und dem Undertaker darf man wohl behaupten, dass es das beste PPV-Singles Match zwischen euch beiden bei The Bash in diesem Jahr gegeben hat.
Rey Mysterio: Oh, vielen Dank für die nette Einschätzung. Wenn es darum geht im Ring zusammenzuarbeiten, haben Chris und ich haben eine sehr gute Chemie miteinander. Wir wrestleten bereits in der WCW, auch damals passten unsere Kampfstile schon sehr gut zueinander. Für alle Fans, die unsere Matches in den späten 90ern in der WCW nicht sehen konnten, war unsere Fehde etwas Brandneues. Es war also eine tolle Gelegenheit, gerade für unsere jüngeren Fans, unsere damalige Auseinandersetzung hautnah und ganz frisch mitzuerleben.
PW: Die Fans, die euch damals bereits gesehen haben, haben nun aber auch deshalb etwas Neues zu sehen bekommen, da ihr beiden euch als Wrestler ja auch verändert und weiterentwickelt habt.
Rey Mysterio: Das ist sicherlich richtig. Im Vergleich zu früher machen wir nicht mehr so viele spektakuläre Sachen in einem Match, das haben wir etwas zurückgefahren. Gleichzeitig haben wir aus heutiger Sicht einfach viel mehr Erfahrung, und mit der sogenannten Matchpsychologie haben wir dafür gesorgt, dass alles, was wir in den Matches gezeigt haben, von größerer Bedeutung ist. Es war nicht mehr so, dass wir einfach nach dem Läuten der Ringglocke möglichst viele Moves in ein Match packen. Wir sind ganz sicher heute viel schlauer. Wir wissen, wie man interagieren und reagieren muss – insgesamt macht es schon mehr Spaß.

PW: Chris Jericho meinte kürzlich in einem Interview mit einer US-Tageszeitung, dass die Intercontinental Championship durch dich wieder an Prestige gewonnen hat. Was denkst du über den Titel?
Rey Mysterio: Das ist ein tolles Kompliment. Ich bin schon der Meinung, dass der Intercontinental Title in den falschen Händen war oder er zumindest nicht so verwendet wurde, wie es hätte sein sollen. Früher war es ja so, dass man eigentlich erst die Hürde des Intercontinental Titles nehmen musste, um später auch World Champion zu werden – und viele großartige Champions waren deshalb auch mal Intercontinental Champion.
Es war der zweitbedeutendste Titel, den man halten konnte. Urplötzlich war es dann nicht mehr so, der Titel wirkte vergessen. Es wurde so viel Wert auf andere Dinge gelegt, wie auf den World Title, den Spinner-Gürtel und solche Dinge, dass der IC-Titel einfach an Bedeutung verlor. Jericho und ich hatten die Gelegenheit, zusammenzuarbeiten. Wir hatten einige gute Matches, und es ist sicher auch wieder etwas Hoffnung dafür entstanden, dass der Intercontinental-Titel auch auf Dauer wieder an Ansehen gewinnen kann.
ERINNERUNGEN AN EDDIE
PW: Bei dir war es ja umgekehrt: Du hast erst den World Title gewonnen, dann die Intercontinental-Championship. Zudem kam dein Titelgewinn kurz nach Eddie Guerreros Tod. Wie schaut du heute, knapp vier Jahre später, auf diese Zeit zurück?
Rey Mysterio: Eddie starb im November, ich gewann im darauffolgenden Januar den Rumble, um dann im April bei WrestleMania Champion zu werden. Das ging einfach alles so rasend schnell. Zu der Zeit konnte ich nur sehr schwer akzeptieren, dass Eddie nicht mehr da war. Dann den Rumble zu gewinnen und all diese Aufmerksamkeit entgegengebracht zu bekommen, war zu diesem Zeitpunkt nur sehr schwer zu absorbieren. Ich wünschte, ich könnte diese Phase noch einmal in einer ruhigeren Zeit meines Lebens erneut durchmachen und aus meinen Fehlern, die ich damals machte, etwas lernen. Ich war noch ja auch noch jünger, nicht wahr. Fast vier Jahre ist das her…kaum zu glauben.

PW: Mit dem Tod von Eddie verlor die WWE auch ein Aushängeschild für den spanischsprachigen Markt.
Rey Mysterio: Was die geschäftliche Seite angeht, hatte ich ganz sicher nun mehr Gewicht auf meinen Schultern zu tragen. Als Eddie starb, war er das wichtigste Vorbild für den hispanischen Markt, ich folgte ihm auf dem zweiten Platz. Im Prinzip hatte ich nach seinem Tod alles allein zu tragen. Anfangs fühlte es sich nach jeder Menge Druck an, mittlerweile habe ich jedoch gelernt, diesen Druck zu kontrollieren und damit umzugehen. Gerade als Eddie starb, öffnete sich für uns der mexikanische Markt. Er hat auch in dieser Sache eine große Aufgabe hinterlassen.
Die persönliche, sentimentale Seite des ganzen war ebenso schwierig. Seine Lücken füllen zu müssen und ohne Pause seinen Job weiterzumachen. Ich hielt es eigentlich nur deshalb durch, da ich mir immer wieder sagte dass Eddie es genauso getan hätte und alles im Leben aus einem bestimmten Grund passiert.
PW: Nach Eddies Tod kam seine Witwe Vickie in die WWE. Wie schaust du auf diese Entwicklung zurück?
Rey Mysterio: Als Vickie ins Bild kam, bemerkte man schnell, dass sich ihr Leben seit dem Tod Eddies in die richtigen Bahnen entwickelt hatte. Das machte es für eine ganze Menge Leute leichter. Viele dachten sich, dass es in Ordnung sei, sich wieder gut zu fühlen, da sie es anscheinend auch tat.

PW: Was denkst du über Vickie als Performer vor den WWE-Kameras?
Rey Mysterio: Sie hat einen großartigen Job gemacht. Jedes Mal wenn sie raus kam, ins Mikro sprach, dann hat sie auch abgeliefert. Die Leute liebten es, sie auszubuhen – sie hat ihre Aufgabe mehr als erfüllt. Sie hat so viel von ihrem Ehemann gelernt. Dazu war sie ein Naturtalent.
UNTERSCHIEDLICHE FANS IM WWE-UNIVERSUM
PW: Die WWE hat ihre Wurzeln in den USA, wir haben bereits über Mexiko gesprochen, im November steht wieder Deutschland an. Was kannst du uns über die Fans in diesen drei Ländern sagen?
Rey Mysterio: In den USA gibt es sicher auch einige Orte, die wir nur einmal im Jahr besuchen. San Diego zählt wohl dazu. Jedes Mal sind die Fans dort wild und richtig laut. Die Menschen dort kann man sehr gut mit den Fans in Deutschland vergleichen, wo man uns ja auch nicht so oft zu Gesicht bekommt, meistens touren wir ja zweimal pro Jahr durchs Land. Dagegen gibt es dann Städte wie etwa Beluxi, Mississippi, oder Nashville, Tennessee. In den Städten sind wir zwei, drei Mal pro Jahr, das erkennt man aber auch an den Reaktionen der Zuschauer.
Die Fans in Mexiko und Deutschland haben viele Gemeinsamkeiten, in beiden Ländern sind sie sehr, sehr laut und wollen stets unterhalten werden. Anderswo mag es manchmal Fans geben, die die ganze Show über auf ihren Händen sitzen und nicht Teil des ganzen Erlebnisses sein wollen. Wenn du aber ein Ticket für eine Wrestlingshow kaufst, gehst du eigentlich hin, um unterhalten zu werden. Steigere dich deshalb hinein, fühle die Emotionen. Es gibt Zeiten in den USA, da treten wir in Shows auf, die richtig gut besucht sind, doch die Fans wollen einfach nicht in das Erlebnis eintauchen. Das macht unsere Arbeit natürlich ein ganzes Stück härter. Doch in Deutschland habe ich das noch nie so erlebt. Hier sind die Fans stets richtig laut und gehen mit. Ich freue mich drauf!







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